„Wer erschöpft ist, verliert die Freude am Tun“
Psychotherapeut und Buchautor Jörg Berger verrät Strategien gegen Belastung und Erschöpfung.
„Kärntner Wirtschaft“: Warum fühlen sich so viele Menschen erschöpft?
Jörg Berger: Gerade häufen sich Faktoren, die emotionale Energie kosten. Politische Ereignisse wirken sich unmittelbar auf unser Leben aus. Wir sehen sogar im Supermarkt, was sich gerade in der Welt abspielt, wenn Waren fehlen. Der hohe Takt von Innovationen zwingt uns zum Lernen. Außerdem führen die meisten von uns ein zweites, digitales Leben, das Aufmerksamkeit erfordert.
Welche Rolle spielt der Körper bei der Erschöpfung?
Unser Körper ist ein wunderbarer Resonanzraum. Er antwortet mit feinen Reaktionen auf alles, was in unserem Leben und besonders in unseren Beziehungen geschieht. Wenn wir aber überlastet sind, müssen wir den Kopf vom Körper trennen, damit wir funktionieren können. Doch das geht nur ein paar Jahre gut.
Erschöpfung kommt oft schleichend. Wie erkennt man sie?
In der beginnenden Erschöpfung verlieren Menschen ihre Freude und Leidenschaft. Um trotz Überlastung leisten zu können, stellen sie ihre Gefühle zurück und überhören ihre Körpersignale. Betroffene beschreiben das mit „Ich funktioniere nur noch“ oder „Ich fühle mich wie ein Roboter“. Doch irgendwann lässt auch das Leisten nach. Ein Wochenende regeneriert dann nicht mehr.
Welche Tipps haben Sie, damit Menschen wieder zu ihren Kraftquellen finden?
Man sollte sich die Fragen stellen, auf die man keine Antwort hören möchte: Wie fühle ich mich gerade wirklich? Was tut mir nicht gut? Wie geht es meinem Körper damit, wie ich gerade lebe? Was bräuchte ich, damit ich mich privat und beruflich wirklich wohlfühle? Die Antworten sind beunruhigend. Denn für Erschöpfte sind sie ein Protest der Gefühlswelt und des Körpers gegen das augenblickliche Leben. Und man spürt: Es gibt keine schnelle Lösung.
Bringen Sie sich nie in eine Situation, in der Sie Ihre Seele verkaufen müssen, weil Sie nicht Nein sagen können.
Jörg Berger
PsychotherapeutDas klingt anstrengend …
Die Leistungsgesellschaft hat eine Antwort auf die von ihr verursachten Probleme: mehr Sport, mehr Meditation, besser essen, optimiert schlafen. Doch erstens gibt es nur wenige Erschöpfte, die dafür noch Disziplin aufbringen. Und zweitens können auch gute Dinge zu einem Doping werden, das ein Leisten gegen den eigenen Körper aufrecht erhält. Besser macht man sich auf den Weg, um das eigene Leben wieder in Einklang mit den eigenen Vorlieben, Bedürfnissen und Grenzen zu bringen. Die vielen kleinen Veränderungen erfordern keine Selbstüberwindung.
Wie löst man sich von Menschen, die Energie rauben?
Je nach Branche sind es etwa fünf bis zehn Prozent der Kunden und Mitarbeiter, die einem Kraft rauben. Es sind die unkorrigierbaren, unverschämten und hoffnungslos selbstbezogenen Menschen. Es gibt eine falsche Scheu davor, diese zu verärgern oder zu verlieren. Eine starke Führung bringt den einen oder anderen auf Kurs. Beim Rest setzt man durch klare Worte und Vorgaben eine Trennung in Gang.
Wie schafft man sich ein Umfeld, das einen stärkt?
Man sollte sich mit möglichst vielen positiven Menschen umgeben. Außerdem sollte man darauf achten, dass einen unfaire Menschen nicht die Arbeitsbedingungen diktieren, was sich in Preisen, Deadlines, Ressourcen oder Freiheitsgraden in der Ausführung niederschlagen kann. Was bei der Aushandlung eines Auftrags festgelegt wird, kann lange Energie freisetzen – oder rauben.
Ihr Rat?
Bringen Sie sich nie in eine Situation, in der Sie Ihre Seele verkaufen müssen, weil Sie nicht Nein sagen können. Dem beugt man vor, indem man sein Glück auf eine stabile Partnerschaft und Freundschaften stützt, nicht auf den Erfolg, in dem man seine Identität aus seinen Werten bezieht und seinen Lebensstandard bescheiden hält, damit man frei bleibt, selbst wenn der Gewinn einmal geringer ausfällt.
- Jörg Berger, geboren 1970, hat in Heidelberg Psychologie studiert und die Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert.
- Berufliche Stationen führten von der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg über die Klinik Hohe Mark bei Frankfurt zur eigenen Praxis in Heidelberg.
- Im Herder-Verlag erschien zuletzt sein Buch „Die Anti-Erschöpfungsstrategie“.
- In seiner Freizeit joggt er und genießt mit Freunden die Schönheit der Umgebung. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.