„Wo menschliche Kapazität endet, fängt KI an“
Sepp Hochreiter ist ein Pionier in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz (KI).
Der heimischen Wirtschaft fehle die Neugier an neuen Technologien, ist KI-Pionier Sepp Hochreiter überzeugt.
„Kärntner Wirtschaft“: Sie sind in der internationalen KI-Forschung tätig. Wo stehen wir aktuell?
Sepp Hochreiter: Wir können die Entwicklung der KI in drei Phasen einteilen: Am Anfang stand die Grundlagenforschung, zu der ich viel beigetragen habe. Dann folgte das Hochskalieren, das Gewinnen von Daten und Anwendungen wie ChatGPT. Was jetzt kommt ist die Industrialisierung mit der Frage: Wie bringen wir die KI in die Firmen, in die Produktionsprozesse und Maschinen? Hier wird es Forschung brauchen, viele Anwendungen müssen adaptiert werden. Eine große Chance für Europa, um aufzuholen.
Welche Position belegt Österreich im internationalen Vergleich?
Beim Hochskalieren, Gewinnen von Daten und bei den Rechnerresourcen haben wir den Anschluss verloren. Das wird sich aber mit der Industrialisierung ändern. Das Problem innerhalb der Europäischen Union ist vielmehr das Umsetzen neuer Technologien. In Amerika und China sind die Firmen viel offener und probieren Neues aus. Europa ist hier viel zurückhaltender. Es bräuchte mehr Start-ups, die sich mit KI beschäftigen und diese in die Firmen bringen.
Wo sehen Sie das größte Potenzial im Mittelstand?
Das kommt auf die Branche an, aber grundsätzlich bieten Zeitreihenmodelle, die Vorhersagen treffen können, großes Potenzial. Sie warnen etwa, wenn der Bohrer zu heiß wird und die Drehzahl verringert werden muss. Diese Anwendung funktioniert von der Logistik, über Aktienkurse bis hin zu Energiedaten. Wird es komplexer, sind Modellierung und Simulation gefragt, die dabei unterstützen, Systeme zu verstehen und intelligente Entscheidungen zu treffen.
KI kann uns bei der Klimakrise helfen, aber nicht das Kinderzimmer aufräumen.
Sepp Hochreiter
KI-PionierViele Betriebe betrachten KI als einen vorübergehenden Trend. Ihr Rat?
Das wichtigste ist, sich zu informieren, sich mit neuer Technologie zu beschäftigen: Was kann KI? Wie und wo kann ich sie einsetzen? Was brauche ich dazu? Oft gehen wertvolle Daten verloren oder bleiben ungenutzt. Es macht Sinn, eine zuständige Person im Betrieb zu haben, die auch an die Universitäten geht, sich über den Forschungsstand erkundigt und Chancen für das eigene Unternehmen auslotet. Im Cyber Valley Tübingen stehen solche Kooperationen an der Tagesordnung.
Werden Mitarbeiter durch neue Technologien ersetzt?
Jobs fallen nicht weg, sie verändern sich und es entstehen neue. KI ist ein zusätzliches Werkzeug, mit dem sich die Produktivität steigern lässt. Sei es beim Programmieren oder Erstellen von Texten, Bildern und Videos. Für Mitarbeiter wird KI-Kompetenz daher immer wichtiger. Es geht darum, diese Schwelle zu überschreiten, dann wird die Anwendung zur Gewohnheit.
Wird KI auch in die physische Welt Einzug halten?
ie kann unseren Alltag erleichtern – selbstfahrende Autos, Rasenroboter oder Staubsauger – davon werden wir noch viel mehr sehen. Eine Verschmelzung von Mensch und KI oder Roboter und KI im Sinne mechanischer Sklaven halte ich aber für eine Entwicklung in eine völlig falsche Richtung. Bei vielen Dingen, die wir nicht verstehen können, kann uns KI helfen, aber nicht beim Aufräumen des Kinderzimmers oder Zusammenlegen der Wäsche.
Gibt es Entwicklungen, die Ihnen Sorgen bereiten?
Ja, wenn es darum geht, wie KI eingesetzt werden soll. Mit einem Messer kann man einen Kuchen teilen oder jemanden verletzen, die Verantwortung trägt der Mensch. KI trägt auch dazu bei, dass wir noch stärker in Blasen leben, nur mehr Nachrichten konsumieren, die uns gefallen. Damit kann sie uns stark beeinflussen. Bei Wahlen konnte man das bereits beobachten, wenn Chatbots Parolen verbreiten, die so nicht stimmten. Da müssen wir wachsam sein.
In welchen Bereichen gibt es besondere Fortschritte?
Überall dort, wo der Mensch an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt, fängt KI an. Klima, Industrie, Gesundheit, Energie, Verkehr, Lebensmittel und Landwirtschaft – wo wir es mit besonders komplexen Systemen zu tun haben, eignet sich KI besonders gut. Sie kann Zusammenhänge und Strukturen erkennen und das viel schneller und umfassender, als es Menschen möglich wäre – das sollten wir für uns nutzen.
- Sepp Hochreiter (58) ist gebürtiger Bayer und Professor an der Johannes Kepler Universität Linz.
- Sein aktuelles Buch beschäftigt sich mit der Frage: Was kann Künstliche Intelligenz?
- Seine KI-Firma NXAI entwickelte das Zeitreihenmodell TiRex, das jenen von Google oder Alibaba überlegen sei.
- Demnächst komme ein Sprachmodell wie ChatGPT auf den Markt – gleich gut, aber energieeffizienter.
- Zum Wikipedia-Artikel über Sepp Hochreiter.