„Erfüllung in
der Arbeit liegt im Tun“
Ingo Hamm spricht im Interview über Sinn, Fachkräftemangel und blumige Aussagen.
Unternehmen sollten sich nicht hinter einer Weltrettungsanschauung verstecken, ist Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm überzeugt. Denn nicht ein übergeordneter Sinn bringe Erfüllung, sondern das Tun selbst.
„Kärntner Wirtschaft“: Viele suchen gerade in der jetzigen Zeit nach Sinn in der Arbeit. Sie sagen, das sei Unsinn. Warum?
Ingo Hamm: Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit Psychologie und Philosophie und in beiden Disziplinen hat Sinn nicht diesen Stellenwert, wie es aktuell zu sein scheint. Wie kommt es dann, dass viele Unternehmen mit wohlwollenden Slogans einen höheren Sinn vorgeben? Von vielen Menschen aus Unternehmen bekomme ich Rückmeldungen, dass sie gar nicht wissen, für welchen Sinn das Unternehmen steht oder es für sie gar keine Rolle spielt. Darüber hinaus gibt es auch keine brauchbaren Hinweise, dass dieser höhere Sinn, auch Noble Purpose genannt, motivatorische Fähigkeiten hätte.
Unternehmen müssen sich nicht die Sinnfrage stellen?
Genau. Unternehmen sollen sich nicht hinter einer Weltrettungsanschauung verstecken. Was ist schlecht daran, einfach nur marktwirtschaftlich erfolgreich sein zu wollen? Wichtig ist, dass die Aufgaben den Mitarbeitern nicht als Befehle auf den Tisch geknallt werden, sondern erklärt wird, wie nützlich ihr Beitrag für das Ziel des Unternehmens ist. Das ist eine schöne Führungsaufgabe.
Woher kommt denn diese ausgeprägte Suche nach Sinn im Leben oder in der Arbeit überhaupt?
Da gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen suchen Mitarbeiter nach Erklärungen für das, was sie machen, das sie aber nicht wirklich gerne machen. Zum anderen herrscht durch die Globalisierung und Digitalisierung eine große Unsicherheit bei Menschen, die Arbeit suchen, weil sie sich fragen, ob es den Job in zehn Jahren überhaupt noch geben wird.
Was ist schlecht daran, einfach nur marktwirtschaftlich erfolgreich sein zu wollen?
Ingo Hamm
WirtschaftspsychologeSind Sinnversprechen auch eine Folge des Fachkräftemangels?
Ja. Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften, da wird jeder New-Work-Köder in den Teich geworfen, den es gibt. Früher waren es Fußballtische, heute ist es der Sinn. Die Unternehmen denken, es würde wirken, doch sobald die Leute da sind, merken sie, dass es eigentlich ein ganz normaler Job ist und wandern wieder ab. Diese New-Work-Angebote ersetzen die innere Motivation. Auf Dauer funktioniert diese Motivation von außen aber nicht.
Wie sollten Unternehmen stattdessen agieren?
Statt den Mitarbeitern das Warum zu erklären, sollten sie das Was erklären. Eine Stellenanzeige zu schalten, reicht dabei nicht. Man muss den Leuten reinen Wein einschenken und von blumigen Aussagen absehen. Nehmen Sie die Musik oder den Sport als Beispiel – da sind Scouts unterwegs, es werden viele Gespräche geführt. Unternehmen denken oft, sie seien mit der Probezeit fein raus. Dabei vergessen sie, dass auch die Kandidaten die Probezeit nutzen und machen dann große Augen, wenn diese oft schnell wieder weg sind.
Wird dieses Best-Practice-Beispiel auch gelebt?
Es gibt durchaus einige Unternehmen, die die Suche nach passenden Mitarbeitern intensiver betreiben und etwa Probearbeitstage vereinbaren, um herauszufinden, ob der Kandidat zur Tätigkeit passt. Das ist aufwendiger, aber hilft beiden Seiten.
Haben Sie noch einen Tipp?
Antoine de Saint-Exupéry hat gesagt: „Lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Das funktioniert nicht, weil die Sehnsucht nicht konkret ist. Der Polarforscher Ernest Shackleton hat für seine Expedition mit einer Stellenanzeige Begleiter gesucht mit den Worten: „Männer für waghalsige Reise gesucht. Geringe Löhne, extreme Kälte. (…) sichere Heimkehr ungewiss. Ehre und Ruhm im Erfolgsfalle.“ Daraufhin soll er 5000 Bewerber gehabt haben. Der Schlüssel liegt im Tun, denn da kann man zeigen, was man draufhat und wird glücklich damit.
- Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt.
- Zuvor war er McKinsey-Berater, arbeitete auf Konzernseite und folgte schließlich seinem forscherischen Freiheitsdrang.
- Hamm berät Organisationen bei der Umsetzung von Strategien und durchleuchtet als Autor und Redner aktuelle Trends für die Unternehmenspraxis.
- Er hat zahlreiche Fachartikel und Bücher publiziert.