„Das Wichtigste ist der Mensch im Mittelpunkt“
Was die Benediktsregel und der Trend zur Agilität gemeinsam haben, weiß der ehemalige Benediktinermönch Anselm Bilgri.
Anselm Bilgri war fast drei Jahrzehnte Benediktinermönch und ist jetzt Unternehmensberater, Redner und Autor. Im Interview erklärt er, warum man Management als Funktion verstehen muss.
„Kärntner Wirtschaft“: Sie waren fast 30 Jahre Benediktiner, heute sind Sie Unternehmensberater. Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Zeit im Kloster für das Wirtschaftsleben mitgenommen?
Anselm Bilgri: Das Wichtigste ist, den Menschen im Mittelpunkt zu sehen. Ein Unternehmen zu leiten, heißt, mit Menschen zu arbeiten, das sind die Mitarbeiter ebenso wie die Kunden oder Lieferanten. Insofern hat die Wirtschaft den Menschen zu dienen. Man muss den Menschen als Person sehen, mit allem, was er mitbringt, und darf ihn nicht einpassen in ein Zahlenwerk oder wie eine Schachfigur hin- und herschieben. Wenn es gelingt, das zum Klingen zu bringen, hat man Aussicht auf Erfolg.
Die Kernaussage der Benediktsregel lautet ora et labora – arbeite und bete. Wie kann man das ins Wirtschaftsleben übersetzen?
Natürlich gibt es in einem Unternehmen kein religiöses Ziel, aber die Zielgerichtetheit kann man übertragen. Wichtig ist, dabei auch offen zu bleiben. In dem Kloster, in dem ich war, lag das Hauptaugenmerk auf dem Zweig Food and Beverage, also Essen und Trinken. Zwei junge Mönche haben sich dann in der sozialen Arbeit stark engagiert, so ist ein neuer Zweig entstanden, in dem man sich um Obdachlose kümmert. Die Schnelllebigkeit der Zeit zwingt Unternehmen dazu, agil zu sein und ihre Pläne immer wieder zu revidieren.
Wie passt diese Agilität mit der rund 1500 Jahre alten Benediktsregel zusammen?
Darüber habe ich mich anfangs auch gewundert. Aber wenn Klöster nicht auf Zeit und Ort reagiert hätten, würden sie nicht mehr bestehen. Man kann das wie bei einem Baum sehen: Ein Baum steht fest, biegt sich aber im Wind, damit er nicht umfällt. Diese Verbindung aus Beständigkeit und Flexibilität macht es aus.
Man darf Management nicht als Position, sondern muss es als Funktion verstehen.
Anselm Bilgri
UnternehmensberaterIst das der Grund, warum Klöster über Jahrhunderte bestehen können, während viele Unternehmen schon nach kurzer Zeit wieder zusperren müssen?
Das hängt sicher auch stark mit der Motivation zusammen. Ein Kloster ist eine Art von Lebensgemeinschaft, die den Menschen im Mittelpunkt sieht. Das Wort Abt für den Vorsteher des Klosters kommt aus dem Aramäischen und bedeutet soviel wie Väterchen. Auch wenn wir patriarchalische Ansichten ablehnen, geht es doch um ein grundsätzliches Vertrauen, das wir damit verbinden.
Wie lassen sich die Aufgaben eines Abtes und eines Geschäftsführers vergleichen?
Benedikt sagt, dass ein Abt die Mönche in ihrer Unterschiedlichkeit wahrnehmen und sich jedem einzelnen anpassen muss. In vielen Unternehmen glauben die Führungskräfte, dass sich die Mitarbeiter anpassen müssen, vor allem auch, weil die dienende Funktion von oben nach unten sehr zeitintensiv ist. Ideal wäre es, wenn sich Führungskräfte zu 80 Prozent Führungsaufgaben und zu 20 Prozent Sachaufgaben widmen würden. Das ist aber leider in den wenigsten Betrieben so.
Muss man den Mitarbeitern Sinn für ihr Tun geben?
Konstantin Wecker hat gesungen: „Der Sinn des Lebens besteht im Leben selbst.“ Umgelegt auf Unternehmen könnte man sagen, dass man dann Sinn vermittelt, wenn man Interesse an der Person hat und nicht nur an der Zeit, die sie zur Verfügung stellt. Werden die Mitarbeiter wertgeschätzt, erfahren sie auch Sinn.
Angelehnt an die Benediktsregel, welche drei Tipps haben Sie für Unternehmen?
Das ist zum einen die gute Kommunikation zwischen den Hierarchien, die aber nicht das Sprechen, sondern das Hören meint. Zum anderen muss man führen und seinen Mitarbeitern dienen. Man darf Management nicht als Position verstehen, sondern als Funktion. Der dritte Punkt ist, die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und diese Verschiedenheit auch positiv zu sehen.
- Anselm Bilgri trat 1975 in die Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München und Andechs ein.
- Er studierte Philosophie und Theologie und wurde 1980 zum Priester geweiht. Als Cellerar leitete er die Wirtschaftsbetriebe des Klosters Andechs.
- 2004 schied er aus dem Orden aus und gründete ein Beratungsunternehmen für Unternehmenskultur in München.
- Heute ist er Gesellschafter der 2013 mitgegründeten „Akademie der Muße“, Autor zahlreicher Ratgeberbücher sowie Hochschuldozent.