„Veränderung ist das größte Geschenk“
Gewohnheiten und Ängste stehen Veränderungen häufig im Weg. Warum diese aber wichtig sind und auf das Gehirn wie ein Jungbrunnen wirken, weiß Neurowissenschaftler und Facharzt Volker Busch.
„Kärntner Wirtschaft“: Warum ist es häufig so schwierig, Veränderungen anzunehmen oder sich selbst zu verändern?
Volker Busch: Wir können uns alle verändern, doch obwohl wir das können, ist der Wandel nicht sehr beliebt. Jeder will zwar schlank sein, aber niemand will schlank werden. Wichtig, damit Veränderung funktioniert, ist also, dass der Weg attraktiv ist. Gewohnheiten und Ängste stehen aber wie Hürden bei einem Lauf im Weg.
Warum neigen wir denn zu Gewohnheiten?
Gewohnheiten lenken das Leben, nicht unser Verstand. Denn das Denken braucht Zeit und Energie, deshalb sparen viele daran. Wir haben rund 90 Milliarden Nervenzellen, die miteinander kommunizieren. Tun wir etwas immer wieder, etwa Zähneputzen, werden diese Verbindungen strukturell verstärkt und zu einem richtigen Trampelpfad ausgebaut – je öfter wir ihn nutzen, desto breiter wird er. Mit jeder Wiederholung erhöhen wir zudem die Wiederholungswahrscheinlichkeit, eine Veränderung der Gewohnheiten fällt deshalb zumindest zunächst einmal schwer. Im Alltag sind wir deshalb auch oft Opfer unserer Gewohnheiten.
Der Mensch kann denken und handeln, aber nur wer handelt, kommt vorwärts.
Volker Busch
Neurowissenschaftler, FacharztWie kann es gelingen, die Trampelpfade der Gewohnheiten zu überwinden?
Auch wenn unser Gehirn uns vor Veränderungen warnt – es geht trotzdem, wir müssen nur den Impuls überwinden, es wieder wie gewohnt zu machen. Das fühlt sich komisch an, aber klar ist: Wir entdecken oder entwickeln nur dann Neues, wenn wir die ausgetretenen Pfade verlassen.
Kann man Gewohnheiten überhaupt reduzieren?
Ich wende dazu eine eigene Technik an und nenne es den Revolutionstag. An diesem Tag mache ich alles anders als sonst: Ich höre Musik, die ich sonst nicht höre, probiere neue Speisen aus, lasse das Handy weg und spreche Personen an, die ich nicht kenne. Für unser Gehirn ist die größte Stimulanz die Überraschung, denn sie setzt unsere Synapsen neu zusammen. Leute, die diese Technik anwenden, nehmen immer etwas davon mit, es öffnen sich neue Türen.
Was passiert in den Köpfen von Mitarbeitern, wenn sie mit Veränderungsmaßnahmen konfrontiert sind?
Dazu gibt es eine Studie, die zwei Gruppen über 17 Jahre begleitet hat: Die eine Gruppe hat in dieser Zeit immer das Gleiche getan, die andere musste sich ständig neu erfinden. Die Studie hat belegt, dass Veränderungen unter anderem das Wachstum neuer Nervenzellen auslösen, Denkgeschwindigkeit und Gedächtnisleistung höher sind, ebenso wie Handlungsplanung und ‑kontrolle, Fehlererkennung und Entscheidungsfindung. Wichtig ist also in meinen Augen das Narrativ: Wir müssen weg von „wir müssen uns verändern“ hin zu „wir dürfen uns verändern“. Geistige Aufgaben, an denen man wächst, fördern unser Gehirn und das wirkt wie ein Jungbrunnen
Welche Rolle spielt die Angst vor Veränderungen?
Unsere Amygdala, ein Teil unseres Gehirns, warnt uns immer vor Neuem und prüft auf Gefahren. Das ist grundsätzlich wichtig, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen aus dem Weg zu gehen, steht aber Veränderungen häufig im Weg. Es ist in uns, dass wir zuerst das Negative sehen – bei Unsicherheit oder Angst überschätzen wir aber das Negative. Immer wenn Ängste auftreten, sollten wir uns also fragen: Was kann ich jetzt machen, um etwas zu verbessern?
Gewohnheiten und Ängste zu überwinden, zahlt sich demnach aus?
Unbedingt. Wir profitieren, wenn wir uns Veränderungen stellen, denn Veränderungen sind das größte Geschenk – nicht nur, weil sie unser Gehirn fördern. Der Mensch kann denken und handeln, aber nur wer handelt, kommt vorwärts.
Volker Busch ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Regensburg, Redner, Trainer und Berater. Als Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Psychosozialer Stress und Schmerz“ erforscht er emotionale Aspekte der Wahrnehmung und Reizverarbeitung bei Menschen mit Depression oder Stresserkrankungen. 2020 erhielt er die Professur für Psychiatrie an der Universität Regensburg. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter „Kopf frei!“, und hat den Podcast „Gehirn gehört“.