„Arbeit wird nicht aufgrund der Menge als Belas­tung empfunden, sondern wenn Ziele und aktive Mitgestaltung fehlen“,  weiß Sebastian Wörwag.
„Arbeit wird nicht aufgrund der Menge als Belas­tung empfunden, sondern wenn Ziele und aktive Mitgestaltung fehlen“, weiß Sebastian Wörwag. © KK
Sebastian Wörwag

„Gebt Men­schen Sinn und sie wer­den arbei­ten“

Arbeitsforscher Sebastian Wörwag spricht im Interview über eine neue Arbeitswelt und was sie für Unternehmen bedeutet.

23.04.2024 10:52 - Update am: 31.05.2024 10:02 von Claudia Blasi
Lesezeit 5 Minuten

„Kärnt­ner Wirt­schaft“: Wie wür­den Sie Arbeit heu­te defi­nie­ren? 

Sebas­ti­an Wör­wag: Wir ver­brin­gen einen Groß­teil unse­res Lebens in der Arbeit, von daher hat sie einen hohen Stel­len­wert für uns. Doch Arbeit geht über das Geld­ver­die­nen hin­aus. Sie trägt ein Stück dazu bei, Mensch zu sein, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und Hand­lun­gen zu set­zen. Mehr denn je wird auch der Sinn der Arbeit hin­ter­fragt und somit auch der Sinn der Orga­ni­sa­ti­on, für die ich arbei­te. Das muss auch den Unter­neh­men bewusst sein. Mit­ar­bei­ter, die sich wie ein Räd­chen im Sys­tem füh­len, wird man nicht zufrie­den­stel­len.

New Work wird vor allem durch den digi­ta­len Wan­del vor­an­ge­trie­ben. Eben­so sind Fle­xi­bi­li­sie­rung und Indi­vi­dua­li­sie­rung der Lebens­ent­wür­fe ein The­ma, an das sich die Arbeits­mo­del­le anpas­sen müs­sen. Wir befin­den uns gera­de in einem gesell­schaft­li­chen Wan­del, in dem sich Wer­te wie etwa Arbeits­platz­si­cher­heit oder Kar­rie­re stark ver­än­dern. Hier hilft die Meta­pher von den drei Män­nern, die im Stein­bruch arbei­ten: Der ers­te, weil er kei­ne ande­re Arbeit fin­det. Der zwei­te, weil er damit sei­nen Lohn ver­dient, und der drit­te, weil er stolz ist und sich freut, dass mit sei­nen Stei­nen eine gro­ße Kathe­dra­le gebaut wird. Ein Job, drei unter­schied­li­che Moti­ve.

Was heißt das für die Wirt­schaft und die Suche nach Mit­ar­bei­tern?

Was Unter­neh­men brau­chen, sind Mit­ar­bei­ter, die gemein­sam eine Kathe­dra­le bau­en möch­ten. Als ers­tes ist daher die Fra­ge zu klä­ren: War­um gibt es mein Unter­neh­men über­haupt? Eine sinn­stif­ten­de Visi­on stei­gert die Arbeit­ge­ber­attrak­tivität. Und es sind Inhalt, Bezie­hun­gen, Stel­lung und Ort in der Arbeit zu hin­ter­fra­gen. Hier kann es sinn­voll sein, Geschäfts­mo­del­le fle­xi­bler zu gestal­ten, um ande­re Bewer­ber, etwa allein­er­zie­hen­de Müt­ter, anzu­spre­chen. 

„Arbeit wird nicht aufgrund der Menge als Belas­tung empfunden, sondern wenn Ziele und aktive Mitgestaltung fehlen“,  weiß Sebastian Wörwag. © KK

„Men­schen wol­len bes­ser arbei­ten, nicht weni­ger.“Zitat Ende

Sebas­ti­an Wör­wag

Arbeits­for­scher, Rek­tor der FH Bern

Vor allem die jün­ge­re Gene­ra­ti­on bevor­zugt kür­ze­re Arbeits­zeit­mo­del­le. Gehen sich weni­ger Arbeit und mehr Wohl­stand aus?

Die Rech­nung geht nicht auf, weil Zeit die fal­sche Wäh­rung zur Bemes­sung von Arbeit ist. Pas­sen­der wäre es, im Sin­ne eines Werk­ver­tra­ges, für das Werk zu zah­len. Das kön­nen wir von Hand­wer­kern und Künst­lern ler­nen und als Grund­idee auf ande­re Arbei­ten, auch in Unter­neh­men, über­tra­gen. Wer einer beseel­ten Arbeit nach­geht, zählt kei­ne Stun­den mehr.

Wel­che Rol­le spielt Künst­liche Intel­li­genz (KI) in der Arbeits­welt von mor­gen? 

KI exis­tiert und ent­wi­ckelt sich wei­ter. Ent­schei­dend wird sein, wie reflek­tiert wir damit umge­hen. Sie birgt Chan­cen und Risi­ken und unser Ein­satz ent­schei­det dar­über. Nut­zen wir sie als sinn­vol­len Assis­ten­ten oder zur Sub­sti­tu­ti­on des Men­schen, bei der genau die Qua­li­tät des Mensch­seins ver­lo­ren geht und Tech­nik­feind­lich­keit geschürt wird. Den Taschen­rech­ner hat man bei der Ein­füh­rung auch nicht ver­bo­ten und er leis­tet bis heu­te gute Diens­te. Die Daten­grund­la­ge che­cken, Resul­ta­te über­prü­fen und den Fein­schliff set­zen muss letzt­lich immer ein Mensch.

Gibt es Bran­chen, die von der KI beson­ders pro­fi­tie­ren?

Ich den­ke, dass alle Bran­chen von Tools wie ChatGPT pro­fi­tie­ren kön­nen und sie auch als Unter­stüt­zung beim Ver­fas­sen von Tex­ten ein­set­zen wer­den. ChatGPT die Bewer­bung schrei­ben zu las­sen, fin­de ich weni­ger ori­gi­nell.

Es gehen jedes Jahr mehr Men­schen in Pen­si­on als Jün­ge­re in den Arbeits­markt ein­tre­ten. Wie lässt sich die­se Lücke schlie­ßen?

An die­ser Stel­le ist der Pen­si­ons­zeit­punkt zu hin­ter­fra­gen. Vie­le Früh­pen­sio­nen wären ver­meid­bar, wenn wir Men­schen nach ihren Talen­ten ein­set­zen wür­den. Der Erfah­rungs­reich­tum gera­de bei den Älte­ren ist wert­voll. Es braucht Rah­men­be­din­gun­gen, um die­sen auch aus­schöp­fen zu kön­nen. Wer in sei­ner Arbeit Sinn sieht, wird ger­ne län­ger arbei­ten. 

Zur Per­son

Seit 2020 ist Sebas­ti­an Wör­wag Rek­tor der Ber­ner Fach­hoch­schu­le sowie Prä­si­dent des Hoch­schul­rats der Päd­ago­gi­schen Hoch­schu­le Thur­gau. Der pro­mo­vier­te Betriebs­öko­nom war zudem Mit­be­grün­der der Pri­va­ten Hoch­schu­le Wirt­schaft. Er forscht und publi­ziert seit Jah­ren zu Ver­än­de­run­gen der Arbeits­welt. Sei­ne eige­ne For­schungs- und Bera­tungs­in­sti­tu­ti­on nennt sich „human­lo­gix“.

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